Aus Schülern werden Staatsfeinde
Aus Schülern werden Staatsfeinde
Was für ein Erlebnis: Der Film „Das schweigende Klassenzimmer“ von Lars Kraume! Im Mittelpunkt des Geschehens stehen die Schüler einer Abiturklasse in der ehemaligen DDR. Aus Protest für die Opfer eines Aufstandes in Ungarn (1956) legen sie im Unterricht eine Schweigeminute ein. Mit den Konsequenzen ihres Handelns rechnen sie aber nicht: Sie werden alle vom Abitur ausgeschlossen.
Der Film, der auf ein wahres Ereignis zurückgeht, zeigt, welche schwerwiegenden Konsequenzen eine einfache menschliche Geste des Schweigens in der DDR haben konnte. Politisch Verantwortliche in der DDR motivierte1956 diese Geste jedenfalls dazu, Jugendliche einer Klasse in Storkow, die sich für Menschlichkeit solidarisierten, als Staatsfeinde zu behandeln, sie zu erpressen und gegeneinander auszuspielen. Im Vordergrund der Filmhandlung geht es um grundlegende Regeln moralischen Verhaltens, die von den damaligen Schülern in eindrucksvoller Weise demonstriert werden: Loyalität, Mut und Integrität.
Die Schüler unserer 10. und 11. Klassen konnten diesen Film im Herbst letzten Jahres in der Kulturkirche in Luckau sehen. Vor der Filmaufführung sichteten die Schüler authentisches Fotomaterial über die schwierige Zeit vor und während des Mauerbaus. Das Besondere an dieser Aufführung: Ein ehemaliger Schüler der Storkower Schulklasse, Karsten Köhler, stand den Jugendlichen als Zeitzeuge für Fragen zu diesem dramatischen Ereignis Rede und Antwort. Nach der Aufführung des Films zeigt sich, dass dieser bei Zuschauern Spuren hinterließ, zum Nachdenken anregte.
In der darauffolgenden Deutschstunde diskutierten die Schüler der 10. Klassen lebhaft über die politischen Umstände, die zum Ausschluss der damaligen Jugendlichen vom Abitur führten, ebenso über mögliche Parallelen zu heute. Auf die Fragen, was sie heute mit den Jugendlichen im Film verbinde, erfolgten unterschiedliche Antworten.
Tonia R.: „Ich finde die Verbindung zwischen den politischen und persönlichen Ereignissen [im Film] sehr beeindruckend. Mich verbindet mit diesen Jugendlichen besonders, dass sie kaum älter als ich waren und genau wie ich ihr Abitur machen wollten.“
Melina G. sagt dazu: „Ich denke, dass ich mich sehr gut mit der Haltung der Schüler identifizieren kann, da ich selbst auch anspreche, wenn ich etwas nicht gut oder ungerecht finde. Jedoch weiß ich nicht, ob ich für solch einen Widerstand mein Abitur riskieren würde, da man diese Chance ja nicht oft bekommt. Aber heute leben wir in einer Zeit, in der man seine politische Orientierung offen äußern darf. Heutzutage sind Schweigeminuten legitim, vor allem bei besonderen öffentlichen Ereignissen, aber auch an unserer Schule.“
Die Gedanken von Vanessa W.: „Ich denke, dass mich gar nicht so viel mit den Jugendlichen [von 1956] verbindet, da ich mir heute nicht vorstellen kann, wie es sich anfühlt, in der DDR und im Sozialismus zu leben. Jedoch bin ich auch Schülerin und werde in einigen Jahren mein Abitur machen. Ich glaube auch, dass Jugendliche eher den Mut und den Willen haben, sich für etwas einzusetzen und zu protestieren. Man könnte das heutzutage vielleicht mit den Demonstrationen „Fridays for Future“ vergleichen. Jedoch macht man sich damit heute nicht zum Staatsfeind.“
Hannah H. denkt, dass dieser Mut heute nicht mehr notwendig sei. „Allerdings glaube ich, wenn wir in eine ähnliche Situation kämen, würden auch heute junge Menschen Mut zeigen.“
Ihre Eindrücke zum Film schildert Alexa R.: „Es ist beeindruckend, wie die Klasse damals zusammenhielt und Mut bewies. Sehr emotional wirkte auf mich das alte Foto, das am Filmende eingeblendet wurde und die damalige Klasse darstellt. Man sieht die Gesichter der Helden, die sie meiner Meinung nach waren, die als junge Menschen so solidarisch gehandelt haben, obwohl sie damit zu Staatsfeinden wurden.“
Die Schüler der 10 a zeigten besonders viel Mitgefühl, als sie am Filmende von der gemeinsamen Flucht der Schüler nach Westberlin erfuhren.
Vanessa W. hätte dem Zeitzeugen gern gesagt, dass sie seine Geschichte beeindruckend finde und den größten Respekt vor ihm und seiner Klasse habe. Denn sie haben sich nicht nur als Minderheit gegen den Staat gestellt und mit ihrem Abitur ihre Zukunft riskiert, sondern mussten auch ihre Familien zurücklassen, was sehr viel Mut und Kraft erforderte.
Alexa R. würde Herrn Köhler auch gern ihren Respekt verdeutlichen, da sie sich selber so etwas nicht zutraue.
Friederike K. drückte ihre Zufriedenheit damit aus, dass sich die ehemaligen Klassenkameraden heute alle zwei Jahre treffen.
(Klasse 10 a, R. Nowotnick, B. Hommel)