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Ursprünglich blasse Charaktere zum Leben erweckt mit einem interessanten Gespür für Mode, Humor, Rollenbilder und verständliche Dialoge

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Am 01.10.2024 besuchten Schülerinnen und Schüler des Leistungs- und der Grundkurse Deutsch mit vier Deutschlehrkräften das Deutsche Theater in Berlin, um der abendlichen Aufführung Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“ beizuwohnen. 

Zwar saßen im Publikum überwiegend Schulklassen aus Berlin, doch auch die Schauspielerin Corinna Harfouch ließ sich das Spektakel ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht entgehen und 

würdigte am Ende deren Leistung mit einem genauso ausgedehnten Mehrfachapplaus wie wir. Aber der Reihe nach …

 

Kleists im Jahr 1808 uraufgeführtes Drama gilt als Komödie und handelt von einem Gerichtsverfahren im fiktiven Dorf Huisum um einen – wie der Titel erahnen lässt – zerbrochenen Krug. Initiiert wird dieses von Frau Marthe, gespielt von Franziska Machens, die laut polternd eine Strafe für den Übeltäter verlangt und den sie auch glaubt, bereits identifiziert zu haben, nämlich in der Figur des Ruprecht (Tamar Tahan), des jungen Verlobten ihrer minderjährigen Tochter Eve (Lisa Hrdina).

 

Als Bühne diente ein schmaler Korridor mit einer Reihe von Stühlen und einem übergroßen Gemälde im Hintergrund in der Art von Stilleben; Die süßesten Früchte, ein bunter Vogel und Weingläser erinnern an typische Motive der Barock-Literatur. Und sie alle stehen für die Vergänglichkeit der Vergnüglichkeit. Und das Lachen sollte am Ende ausgerechten demjenigen vergehen, der glaubte, sich in seiner roten Robe als Dorfrichter Adam (Ulrich Matthes) in Sicherheit und Immunität wähnen zu können, obwohl sein Image von Anfang an Kratzer aufweist – buchstäblich in Form von Kopf- und Gesichtsblessuren. 

 

Als Dorfautorität nimmt er sich die Freiheit, der Zeugin Eve bereits eine auf seinerseits gesponnenen Lügen basierte Aussage nahezulegen und das Urteil zu kennen, eh das Gerichtsverfahren überhaupt seinen Lauf nimmt. Doch die selbstbewusste Gerichtsrätin Walter (Lorena Handschin) durchschaut den Richter und merkt recht bald, dass er es weder mit Paragrafen noch mit der Objektivität so genau nimmt und auch dem Alkoholgenuss nicht abgeneigt ist.

 

In einem Dialog, der einem Verhör ihrerseits gleicht, begegnet die Gerichtsrätin ihm auf Augenhöhe – wenn auch sitzend. Mehrfach täuscht Frau Walter dem Dorfrichter vor, eine Flasche Wein mit ihm zu teilen, und mit jedem Glas, das er austrinkt und sie unbemerkt wegkippt oder der gerne annehmenden Frau Marthe weitereicht, entlockt sie (oder der Alkohol) ihm Aussagen, die auch dem Publikum den Machtmissbrauch und die Skrupellosigkeit des Richters mehr als offensichtlich vor Augen führen. Szenen wie diese sowie die mit der Mutter Marthe als temperamentvolle, um den Ruf der Tochter und die Ehre der Familie besorgte Witwe, entlockten den Zuschauerinnen und Zuschauern häufiges und lautes Lachen im Theatersaal.

 

Während Evchen, recht passiv, eingeschüchtert und verunsichert in der Gegenwart des Herrn Dorfrichters und ihrer Mutter nur zögerlich und häppchenweise mit der Wahrheit herausrückt, belastet die als Zeugin vom Gerichtsschreiber Licht (Jeremy Mockridge) herbeigerufene Nachbarin, Frau Brigitte (Daria von Loewenich), Herrn Adam schwer, indem sie von nächtlichen Spuren im Schnee berichtet und Utensilien mitführt, die sich als erdrückende Beweislast für die Anwesenheit des noch Unantastbaren am Tatort des Geschehens, Eves Gemach, erweisen. 

Auch Eve nimmt allen ihren Mut zusammen und schildert den Anwesenden ihre Version der Wahrheit wortreich und eindrücklich, während der Richter fast wortlos am Rand der Bühne nahezu untertaucht. Die junge Eve, von ihrer dominanten Mutter bevormundet und belächelt, emanzipiert sich, die Worte sprudeln aus ihr nur heraus und am Ende sorgt sie für eine Umkehrung der Machtverhältnisse und – in den Augen der Zuschauenden – für Gerechtigkeit.

 

Die große Stärke des Dramas bzw. der Komödie Kleists liegt in seiner Sprache. Zwischen der Uraufführung und der besuchten liegen mehr als 215 Jahre, die aber – verglichen mit manch anderem Werk der deutschen Literatur – offenbar weder von der Regisseurin (Anne Lenk) noch von den Schauspielerinnen und Schauspielern als sprachliches Hindernis betrachtet wurden. Je nach Verlagsausgabe und Erscheinungsjahr kann die Sprache in den Ohren junger Leserinnen und Leser stellenweise sperrig wirken, doch zur Modernisierung gehört auch die gekonnte Gratwanderung zwischen der Orientierung an der Handlung, dem richtig dosierten Anspruch auf die Wahrung von Originalität sowie der sprachlichen Flexibilität. Genau diese Mischung wurde in der Bühnenversion zum Ausdruck gebracht und trug, neben der schauspielerischen Leistung der Mitwirkenden, wesentlich zur Verständlichkeit der Handlung bei, zumal die Pflichtlektüre im kommenden Deutschabitur von den Schülerinnen und Schülern noch nicht gelesen wurde. 

 

Ebenfalls dazu beigetragen, dass das Stück Jugendlichen zugänglich gemacht wurde, hat die Auswahl der Kostüme. Diese wurde bei allen Charakteren in den Tönen Orange-Rot gehalten, was einerseits Aufmerksamkeit erzeugt und anderseits möglichweise auf die Dominanz der vor allem weiblichen Rollen hinweist, die der Autorität des in roter Robe auftretenden Dorfrichters trotzen und ihm diese tatsächlich im Verlauf der Handlung gekonnt abstreifen. 

 

Im Vergleich zu Kleists Figur des Gerichtsrates Walter wurde diese Rolle durch eine Frau besetzt, deren echte (?) Schwangerschaft nicht etwa kaschiert, sondern selbstbewusst durch das Tragen eines ledernen Jumpsuits betont wurde, der farblich zur Kurzhaarfrisur passte. Vor allem ihr resolutes und kluges Auftreten ließen keinen Zweifel daran, dass sie die handlungstreibende Figur ist und – im Gegensatz zum Richter Adam – ein moralisches Vorbild ist und als Frau so auch vom überwiegend jungen Publikum wahrgenommen werden darf.

 

Besuche von Theaterveranstaltungen lohnen sich in aller Regel, auch wenn sie längere Fahrtzeiten am Abend bedeuten. Ein Dankeschön gilt dem Förderverein des Bohnstedt-Gymnasiums für die finanzielle Unterstützung der Exkursion.

 

Text: Frau A. Jankovic

Bilder: Frau J. Druschke und A. Jankovic

 

 Theaterbesuch am 01.10.2024, Der zerbrochne Krug von Kleist 

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